02.09.2014 Santa Maria – Meran

94 km, 1’484 Höhenmeter

Eine sehr kalte Nacht war es. Ich erwache immer wieder und suche noch nach mehr Kleider, doch die habe ich nicht im Überfluss mit dabei. Und grundsätzlich sollte man ja im Schlafsack nicht allzu viele Kleider anziehen. Und trotz der Kälte schlafe ich bis 7.15h, schon fast ein Rekord.

Ganz gemütlich koche ich meinen Kaffee und esse mein Frühstück. Ich mache eine lustige oder eher gefürchige Entdeckung: ein Schild sagt, dass der Abfall nicht gut für Bären ist. Gestern hat mir Jaqueline und Reto noch gesagt dass im Münstertal der Bär umher zieht, aber das hab ich schon vergessen gehabt.  Zum Glück war er nicht hier, denn Abfall hätte ich keinen im Zelt gehabt, doch einen Landjäger hätte er sicher nicht verschmäht.

Weiterhin gemütlich packe ich dann meine Sachen zusammen und verlasse bei sage und schreibe 2 Grad den Campingplatz um 9.30h. Trotz der angezeigten Temperatur radle ich mit kurzen Hosen los, denn der Campingplatz liegt direkt an der Passstrasse zum Umbrail und die steigt sofort sehr steil an. Ich habe kein Problem mehr mit der Kälte, im Gegenteil, kurze Zeit später tropft der Schweiss nur so von der Stirne. In kurzer Zeit gewinne ich sehr gut an Höhe, kein Wunder, denn es steigt zwischen 10 und 13 Prozent an.

Die Fahrt geht zuerst eine Kehre um die andere durch einen schönen Wald. Danach radle ich hinein in ein Tal, ein wildes Tal. Ohne viel Verkehr, die meisten Motorengeräusche kommen von den Motorrädern, strample ich in meinem Rhythmus hinauf. Irgendwann mal überhole ich zwei Mountainbiker, wahrscheinlich Vater und Sohn. Die hängen sich für ca. 5 Minuten an mich und machen dann eine Pause. Mir geht es blendend und ich fahre einfach mein Tempo, aber wirklich gemütlich, den Berg hinauf. Doch scheinbar sind meine Beine schon gut trainiert, zwei Gümmeler (Rennvelofahrer) überhole ich auch noch. Bis zur Passhöhe des Umbrails geht es 13 Kilometer und die durchschnittliche Steigung beträgt über 9 Prozent. Ein ziemlich happiger Pass, aber mir gefällt vor allem die schmale Strasse ohne viel Verkehr und das wilde Tal.

Auf dem Umbrail ist es ziemlich windig und mit 4 Grad auch nicht besonders Warm. Ich ziehe die langen Hosen an und mache mich nach dem Pass-Foto auf zum nächsten Pass, dem Stilfserjoch oder eben Stelvio-Pass. Die Passstrasse des Umbrail führt direkt auf die Strasse des Stelvios und somit fahre ich nur ein paar wenige Höhenmeter runter, bevor es sofort wieder in die 8 – 10 Prozent Steigung einbiegt. Wieder fahre ich mein eigenes Tempo und nachdem ich ein Mountainbiker überholt habe ist auch ein Gümmeler auf einem Vollkarbon-Velo an der Reihe. Nun bin ich aber schon ein wenig stolz, denn ich schleppe doch sicher 30 Kilos mehr an Gewicht den Berg hoch als dieser Rennvelofahrer.

Kurz vor der effektiven Passhöhe steht bereits ein Pass-Schild. Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen und lasse mich von einem Motorradfahrer aus Österreich fotografieren. Und nun noch die letzten paar Meter zur mit Hotels, Souvenirshops und Bratwurstständen überbauten Passhöhe. Das Wirrwarr dort oben ist gewaltig. Viele Gümmeler, Motorradfahrer, Porsches, Ferraris, Aston Martins und sonstige übliche Autos tummeln sich dort oben. Die Strasse ist gesäumt von Leuten. Ich fahre dort durch und was passiert nun? Mir wird doch tatsächlich von beiden Seiten her applaudiert und zugerufen. Ich in weit und breit der Einzige mit einem voll beladenen Velo und die vielen Möchtegern-Rennvelo-Profis beehren mich doch tatsächlich mit ihrem Applaus. Dies natürlich zum Ärgernis der anderen Möchtegern-Profis, welche soeben auch die Passhöhe erreichen. Die werden natürlich von niemandem mehr beachtet. Doch auch wenn ich es geniesse, verlasse ich diese Bühne sofort wieder. Ich stelle das Velo hin und packe mich sofort in all meine Kleider die ich zur Verfügung habe. Es windet stark und ist genau 0 Grad kalt. Da haben es die Junioren- und JO-Skiteams, welche mit der Bahn vom Gletscher runter kommen, in ihren Skikleidern momentan besser.

Die Aussicht auf die Passstrasse auf der anderen Seite verschlägt einem fast den Atem. Dieses Bild habe ich vor vielen Jahren einmal gesehen und mir gedacht, „dort muss ich auch mal rauf“. Nun bin ich halt von der anderen Seite her gekommen, aber die Ostseite ist wirklich etwas ganz Spezielles. Nach einem kurzen Lunch im Windschatten fahre ich mit bereits kalten Fingern los. Das Einzige was jetzt warm wird sind die Bremsen. Kehre um Kehre kurve ich die enge Strasse runter. Zwischendurch mal anhalten und die Finger wärmen. Aber mit jedem Höhenmeter (oder vielleicht mit jeden 100 Höhenmetern) wird es immer wärmer. Jede Spitzkehre ist mit einer Nummer versehen – nach unten steigend. Wie brutal muss es sein, wenn du mit dem Velo zuunterst bei Kehre 48 den Anstieg beginnst. Vor allem hast du da schon viele Höhenmeter in den Beinen… Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht von dieser Seite auf den Pass fahre – (doch ein wenig ärgern tue ich mich dennoch, es wäre gewiss eine extreme Genugtuung).

Unten in Prad, einem gemütlichen Dorf, setze ich mich auf eine schöne Bank an der Sonne. Ich lasse mich aufwärmen, esse etwas und ruhe mich ein wenig aus. Nun fahre ich im T-Shirt und kurzen Hosen weiter. Wow, welch ein Gefühl! Mit dem Wind – einem heftigen Wind – fahre ich auf dem Veloweg davon. Ein super schöner Weg, mitten durch die Apfelplantagen, welche hier zahlreich vorkommen. Hier ist, soviel ich weiss, das grösste Apfelanbaugebiet Europas. Ich lese auf einer Tafel, dass jährlich mehr als 5 Milliarden Äpfel geerntet werden. Das kann ich gut glauben, denn hier gibt es hunderttausende Bäume und die tragen extrem viele Äpfel. Rote, gelbe, grüne und auch dunkelviollette hängen da. Unglaublich diese Menge an Äpfeln…

Ich rase mit 28 – 32 Stundenkilometern nur so dahin. Aber bald merke ich, dass nicht nur der Rückenwind Schuld daran hat, denn ich verliere konstant an Höhe. Hier ist das Tal so gut besiedelt, ich werde kaum einen Platz zum wild Campieren finden. So versuche ich in Naturns mein Glück auf einem Campingplatz. Beim ersten drehe ich wieder um, der ist mir viel zu luxuriös, mit Hallenbad und allem Drum und Dran. Ich will etwas Einfaches und Unkompliziertes. Also gehe ich zum zweiten und der weist mich ab, alles besetzt. Mein GPS zeigt mir an, dass kurz vor Meran noch ein Campingplatz ist. Also radle ich weitere 11 Kilometer und was passiert dort? „Leider alles besetzt“. Ich frage mal ganz schüchtern, ob denn die Sommersaison nicht zu Ende ist. Die Dame starrt mich entsetzt an und sagt: „Mein Herr, es ist tiefste Hauptsaison!!!“. Ok, ok, ich meine ja nur…

Nun geht es noch einmal eine steile Geländestufe runter nach Meran. Mitten in der Stadt versuche ich erneut mein Glück auf dem Campingplatz. Das Schild „Besetzt – Occupato“ verheisst nichts Gutes. Zum Glück kommt gerade in diesem Moment der Campingwart daher und sagt: „…für Zelte hat’s genügend Platz“ Glück gehabt… Schnell ist das Zelt gestellt und eingerichtet, ich geduscht und nun spaziere ich gemütlich ins Städtchen. Wow, hier scheint eine Shoppingwelt zu sein. Eine Boutique nach der anderen… Irgendwo in einer Seitengasse finde ich eine Pizzeria und fülle genüsslich meinen knurrenden Magen. Mmmmh fein…

Um 20.00h ist hier schon dunkelste Nacht und so mache ich mich halt wieder auf den Weg zurück auf den Campingplatz. Die Stadt schaue ich mir morgen noch richtig an. Wo es Morgen hin geht, da hab ich noch keine Ahnung. Wahrscheinlich werde ich nach Bozen radeln und auch dort eine Stadtbesichtigung machen. Dann sollte wieder einmal ein Pass an der Reihe sein – welcher? Das muss ich noch ausfindig machen…