08.09.2014 Andermatt – Thun

67 km, 1’569 Höhenmeter

Der heutige Tag ist einerseits ein „Weicheier-Tag“, andererseits aber auch ein Tag welcher einen ersten Abschluss meiner Tour bedeutet. Nun gut, Weichei-Tag ist etwas hart ausgedrückt, habe ich doch zwei namhafte Alpenpässe überquert – und erst noch wie bisher mit eigener Muskelkraft. Aber zum Weichei komme ich später noch…In Andermatt ist es heute Morgen frisch, aber nicht wirklich kalt. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, so dass ich das Zelt einmal mehr tropfnass einpacken muss. Doch heute ist mir das eigentlich so was von egal, es ist en wunderbarer Tag, welchen ich richtig geniesse. Denn ich weiss, was mich heute Abend erwarten wird. Mit dem älteren Holländer-Ehepaar, welche neben mir ihr Zelt abbrechen, schwatze ich über die bevorstehende und zurückgelegte Tour. Die beiden sind vor rund einer Woche in Basel gestartet, dem Rhein gefolgt und vorgestern über den Oberalppass, wo bekanntlich dieser Strom entspringt, nach Andermatt geradelt. Heute geht es für sie ins Goms und die weitere Tour führt durchs Wallis an den Genfersee und dann über den Jura wieder nach Basel. Somit werden auch sie heute den Furkapass in Angriff nehmen. Wir verabschieden uns mit dem Spurch: „… bis später, wir werden uns unterwegs wieder treffen“.

Ich radle zurück ins Dorf und esse mein Frühstück, welches ich gerade eingekauft habe, neben einem rauschenden Fluss – der „Unteralpreuss“. Kurz vor 9 Uhr fahre ich los in Richtung Hospental, Realp um danach über den Furka- und Grimselpass ins Berner Oberland zu radeln. Durch das schöne Urserental geht es in der Morgensonne und ohne grossen Verkehr gegen die Furkapassstrasse. Ich geniesse diese Morgenstimmung sehr. Jedesmal wenn ich mit dem Fahrrad hier durch fahre ist dies ein wunderbares Erlebnis. Ich habe bereits viele Kilometer auf dem Fahrrad in verschiedenen Ecken Europas und Nordamerikas abgestrampelt, aber dieses Tal ist wahrscheinlich etwas vom Schönsten von allem. Die Alpenwelt kommt hier, wie fast an keinem anderen Ort so richtig zur Geltung. Ich liebe dieses Tal, obschon man schon von weitem die furchterregende Steigung der Furkapassstrasse sieht.

Keine halbe Stunde später ist es soweit, ich fahre an diese bedrohliche Rampe in Realp und sehe nur noch die paar Kurven welche sich in den Himmel zu winden scheinen. So fürchterlich diese Strasse für einen Radfahrer erscheinen mag, so lohnenswert ist es diese in Angriff zu nehmen. In meinem regelmässigen Tempo nehme ich die Herausforderung an. Ein paar Minuten später überhole ich das Holländer-Ehepaar vom Zeltplatz und sage ihnen noch; „…wir sehen uns später!“ Wann dieses Später sein wird, das weiss ich nicht, denn ich habe sie heute nicht mehr getroffen. Aber wie es so ist – man sieht sich immer zweimal im Leben 😉

An der wärmenden Morgensonne ist es richtig heiss und ich tropfe nur so vor mich hin. Und nun bemerke ich meinen fatalen Fehler welchen ich heute Morgen begangen habe. Obschon ich zwei, dreimal daran gedacht habe, habe ich dennoch vergessen meine Wasserflaschen aufzufüllen. Und so fahre ich mit ca. 2 dl Wasser diese Strasse hinauf. Ich suche links und rechts nach einem Bächlein oder einem Brunnen, aber nichts ist zu finden. Da sehe ich ein paar Kühe, und wo Kühe sind, da muss auch ein Brunnen oder eine „Badewanne“ mit Wasseranschluss sein. Ja, dort hinten steht eine solche Badewanne und ich wage mich in die Kuhweide, wo mich die Kühe ganz fragend anschauen. Bei dieser Badewanne angekommen muss ich feststellen, dass da überhaupt nichts mehr mit Wasser ist. Scheinbar ist die Schneeschmelze abgeschlossen und die armen Tiere sitzen auf dem Trockenen – wie ich übrigens in diesem Moment auch. Also weiter ohne Wasser…

In Tiefenbach, ca. der Hälfte der Furkapassstrasse, stoppe ich beim Restaurant. Hier trinke ich eine Cola und vor allem fülle ich meine beiden Trinkflaschen mit Wasser auf. Kurz später geht es weiter und schon bald stehe ich auf dem Passübergang des Furkapasses. Keine 2 1/4 Stunden habe ich gebraucht von Andermatt hier hin – ich bin ein bisschen stolz auf mich. Doch nicht zu lange stolz sein, denn es ist richtig kalt hier oben. Also die warmen Klamotten raus aus der Tasche und anziehen. An einem windgeschützten Platz packe ich einen Getreidestängel und eine Banane aus und geniesse diesen „Kraftstoff“. Mit dem Italiener auf seinem Mountainbike, welcher fast zur gleichen Zeit auch hier ankommt, kann ich leider nicht richtig kommunizieren. Die Sprachbarriere hindert uns daran. Was ich aber während den nächsten 15 Minuten zu hören bekomme, ist sein GPS-Computerchen. Eine zuerst sympatische, danach nervige Frauenstimme wiederholt sich alle 30 Sekunden, dass er im Moment eine Pause macht. Na logisch, er steht ja immer am gleichen Ort und bewegt sich nicht. Du musst uns das nicht immer wieder sagen. Aber den Italiener stört das nicht – vielleicht ist er schon länger unterwegs und geniesst die Stimme seiner „Begleiterin“.

Dick verpackt sause ich die vielen Kehren hinunter nach Gletsch, wo ich vor den imposant aussehenden Grimsel-Kehren hinauf schaue. Hier ziehe ich all die warmen Kleider wieder aus und nehme die letzte grosse Steigung in Angriff. 6 Kehren schlängeln sich hinauf zur Passhöhe. 6 Kehren welche eindrücklich aussehen, jedoch relativ einfach zu bewältigen sind. Etwas mehr als eine halbe Stunde später stehe ich bereits oben auf dem Grimselpass. Yeeeaaaahhh, der letzte Pass meiner Ego-Tour resp. Pässe-Reise ist geschafft. Ich bin überglücklich und feiere diese Tat mit einer Cervelat und einem Brötchen im Windschatten des Restaurants.

Und nun liegt noch die lange Abfahrt nach Innertkirchen vor mir. 45 Minuten dauert diese – 45 Minuten reine Fahrzeit. Einfach alles nur runter… Wow, es ist ein gutes Gefühl, denn ich weiss, diese Abfahrt habe ich mit meinen eigenen Beinen abverdient. Bereits vor Innertkirchen muss ich anhalten und die warmen Kleider ausziehen. Es ist mittlerweile sehr warm wenn nicht schon fast heiss geworden. Aber ich beklage mich nicht, lieber heiss als Regenwetter. Und jetzt noch der kleine Übergang zwischen Innertkirchen und Meiringen. Diese 4 Kehren (oder sind es 5?) fahre ich im nu hoch. Ich kann kaum mehr auf dem Sattel sitzen, fast alles – wie auch fast die Hälfte des Grimselpasses – fahre ich stehend oder wie man in der Velosprache sagt, im Wiegetritt hoch. Mein Hinterteil erfreut sich seit vorgestern nicht mehr richtig an meinem Unternehmen und es wird wirklich immer schlimmer. Gut, dass ich heute nach den beiden Passübergängen einen „Weichei-Tagesabschluss“ mache. Und somit zum Thema „Weichei“…

In Meiringen kaufe ich, wie immer wenn ich dort durchs Dorf fahre, einen Hasli-Kuchen. Und nun mache ich das, was ich eigentlich verpöne, aber was ich in diesem Moment umso mehr geniesse. Ich kaufe mir ein Ticket nach Thun und fahre die Strecke von Meiringen nach Thun mit dem Zug. Einerseits mache ich was Gutes für mein Hinterteil und andererseits sage ich mir, es liegt ja kein Pass mehr zwischen diesen beiden Ortschaften – also kann es nicht so interessant sein. Und ausserdem bin ich bereits mehrmals entlang des Brienzer- sowie Thunersees geradelt. Doch plötzlich wird mir bewusst, dass es sehr wohl ein reizvoller Passübergang gegeben hätte – die Grosse Scheidegg. Na ja, die habe ich auch schon bezwungen und ich lasse mir jetzt nicht noch ein grösseres schlechtes Gewissen machen.

In Interlaken West steigt per Zufall auch noch mein Vater in den Zug ein und so fahre ich mit ihm bis an mein Tagesziel zu ihm und meiner Mutter nach Hause. Hier werde ich herzlich empfangen, meine stinkige Wäsche wird gewaschen, ich geniesse die Dusche und das kühle Bier. Anschliessend wird ein feines Stück Fleisch grilliert und dazu geniessen wir knackigen Salat und natürlich auch ein (zwei) Glas Rotwein. Zum Dessert gibts den Hasli-Kuchen mit Kaffee und zur Feier des Tages einem Gläschen Grappa. Es ist ein so herrlich warmer Vollmondabend – wir gehen erst um halb zwölf rein. Und jetzt eben noch diesen Bericht schreiben…

Morgen geht es auf die letzte Etappe – gute Nacht!