06.09.2014 Le Prese – Tiefencastel

94 km, 2097 Höhenmeter

Zum Glück hat es in der Nacht nicht mehr geregnet. Trotzdem ist heute morgen alles rund ums Zelt herum pflitsche-pflotsche nass. Ich und meine Sachen sind trocken oder höchstens feucht, somit habe ich die Nacht gut überstanden. Es ist mühsam, das nasse Zelt einzupacken, denn einerseits schleppe ich unnötig Gewicht mit, andererseits graust es mich bereits jetzt, sollte es heute Abend auch wieder regnen und ich ein nasses Zelt aufstellen…Doch alles schön der Reihe nach. Aufgrund der Nässe überall brauche ich heute eine Zeitlang länger als sonst. Dennoch bin ich um 8.20h bereit für die Abfahrt, aber die Camping-Chefs sind wohl immer noch unter der Bettdecke. Ich habe meine Übernachtungsgebühr noch nicht bezahlt, warten will ich aber nicht. Also mache ich mich erst einmal auf zur Bäckerei. Dort kriege ich ein super feines Feigenbrot, was mir wohl genügend Energie gibt um auf den Pass zu kommen. Zusammen mit einem Kaffee und einem Fruchtsaft wird mir nichts mehr passieren.

Bevor ich nun den Pass in Angriff nehme, fahre ich noch einmal zurück auf den Campingplatz und bringe alles in Ordnung. So kann ich ohne schlechtes Gewissen abfahren. Die ersten paar Kilometer bis Poschiavo gehen mehr oder weniger flach ins Tal hinein. Danach beginnt die Steigung, und wie. Bis zu 12 % steil kämpfe ich mich hoch und es geht noch weit hinauf. Ich schaue immer mal wieder wo die Baumgrenze ist, denn dort hin muss ich und noch viel weiter rauf. Heute geht es auf 2’330 Meter – und das erscheint mir momentan unerreichbar. Dieser Pass gilt auf der Südseite als einer der härtesten für Radfahrer – wie wahr… Doch langsam aber stetig fahre ich die Strasse hoch. Der Berninapass ist nicht „nur“ ein Touristen- und Ausflugspass. Ich nenne ihn mal ein Zugangs- oder Übergangspass. Er verbindet zwei Regionen welche man nur über diesen Pass erreichen kann. Somit ist er stark befahren – und wie. Es gefällt mir manchmal gar nicht wie nah diese Autos und Busse an mich ran kommen. Die können ihren Gasfuss keinen Millimeter zurück nehmen und warten bis der entgegenkommende Verkehr durch ist. Nein, es muss unbedingt durchgezwängt sein. Die Allerschlimmsten sind die Bergabfahrer, welche überholen müssen. Entweder sehen sie mich nicht oder sie riskieren einfach. Einmal muss ich wirklich neben die Strasse ausweichen, ansonsten hätte es wohl frontal gekracht. Somit also volle Aufmerksamkeit mit den Augen nach vorne und mit den Ohren nach hinten.

Nach 2 1/2 Stunden erreiche ich die Passhöhe. Die ganze Zeit konnte ich bei Sonnenschein (oder auch im Schatten) fahren. Aber ausgerechnet als ich oben bin, da kommen die Regenwolken. Schnell ein paar Bilder schiessen und versuchen noch vor dem Regen runter zu kommen. Doch nach etwa 3 Minuten Fahrt muss ich anhalten und mein Regenzeugs anziehen. Die Fahrt nach Pontresina ist zum Teil nass, doch ins Dorf fahre ich auf trockener Strasse. Hier kaufe ich etwas zum Essen ein und die Weiterfahrt ist wieder im Regen. Doch schon bei der Abzweigung nach Samedan resp. St. Moritz scheint wieder die Sonne. Also setze ich mich auf einer Brücke hin, ziehe die Regenkleider aus und geniesse mein Pick-Nick.

Die Strasse von Cellerina nach St. Moritz ist nicht wirklich der Hammer, sie ähnelt eher einer Autobahn. Also gebe ich Gas und mache, dass ich schnellstmöglich oben bin. Das Dorf St. Moritz lasse ich rechts liegen, fahre dem See entlang und noch bevor es weiter nach Silvaplana geht, muss ich mich schon wieder unterstellen. Auf dem Regenradar sehe ich in der ganzen Schweiz einen einzigen kleinen Punkt wo es regnet – es ist unschwer zu erraten dass ich das grosse Regenlos gezogen habe. Nun gut, nicht zu fest Klagen, ohne gross nass zu werden fahre ich nach Silvaplana und steige in den Aufstieg zum Julierpass ein.

Wow, die ersten zwei Kilometer haben es in sich. Da wird einem der letzte Saft abverlangt. Durchgängige Steigung von 10 – 12 %, ohne eine Pause… Eigentlich gilt die Südseite des Julierpasses als einer der einfachsten – wenn man die reine Kilometer und Höhenmeterzahl anschaut. Aber der Einstieg ist wohl einer der härteren Sorte. Weiter oben flacht er ein bisschen ab und es geht durch eine sehr karge Gebirgslandschaft. Die Murmeltiere pfeifen hier und da und begleiten mich so zur Passhöhe. Wie könnte es anders sein, ca. 200 Meter vor dem Übergang beginnt wieder der Regen. Oben kurz Foto schiessen und wieder alles Regenzeugs anziehen. Ich glaube, ich habe auf dieser Tour öfters meine Regensachen angezogen als auf allen anderen Touren zusammengezählt. Spricht natürlich für das Wetter unserer bisherigen Touren.

Bei starkem Regen geht es bergab, in den Kurven eher langsam, auf den Geraden lasse ich es auch mal sausen. Doch bei 65 km/h bremse ich jeweils, denn ich will nicht zu schnell sein im Fall dass noch einmal ein Pneu zerfetzt wie gestern – das sitzt mir irgendwie noch im Hirn. Nach Bivio, beim Stausee geht die Strasse wieder rauf und ich ziehe alle Regensachen wieder aus. Natürlich könnte ich sie 5 Minuten später wieder anziehen, doch diesmal ist es mir zu bunt. Ich fahre im Regen, allerdings nur leichter Regen, einfach weiter. Die Strecke zieht sich noch bis Tiefencastel, eigentlich habe ich im Sinn bis Bonaduz zu fahren, doch irgendwie habe ich für heute genug. Ich beschliesse hier zu übernachten und morgen zu schauen wohin die Reise führt.

Auf dem kleinen aber feinen Campingplatz treffe ich einen netten Vespa-Fahrer aus Zürich und wir plaudern ein bisschen von unseren Touren. Da der Campingplatz ziemlich steil am Berg liegt und ich nicht mehr unbedingt runter fahren will, offeriert er mir, mir ein Bierchen vom Tankstellenshop, wohin er kurz geht, mitzubringen. Super, nach einem solchen Tag ist ein Bier doch wie ein Geschenk. Gemütlich werden dann Teigwaren gekocht und gegessen und mit dem Nachbarn trinke ich noch zwei Espressos aus meiner kleinen Espresso-Maschine… Ein toller Tag geht zu Ende.